Der deutsche Energiemarkt gleicht einem Hochleistungsmotor, der für die nächste Etappe dringend neuen Treibstoff benötigt. Mit einem Zubau von fast 20 Gigawatt im Jahr 2024 und einem Anteil von rund 60 % Erneuerbarer am Strommix ist die Dynamik unübersehbar. Ein Blick auf den Markt, das Problem der Banken und Stolpersteine für Investoren. Navigieren von Investitionschancen und Risiken in der Projektfinanzierung durch AIFs und KMU-Anleihen
Der Markt am Wendepunkt: Von der Verwaltung zur Gestaltung
Mit einer aktuell installierten Gesamtleistung von beinahe 190 GW, davon 99,3 GW im Bereich Solarenergie und stabilen 9 GW im Biomasse-Bereich machte der Anteil der erneuerbaren Energien an der Nettostromerzeugung im vergangenen Jahr 59,4 %. Eine massive Pipeline genehmigter Windprojekte an Land (knapp 15 GW gegenüber realisierten 2,5 GW in 2024) und der weitere Zubau im Bereich Solarenergie signalisieren für den Bereich der erneuerbaren Energien einen gewaltigen, bevorstehenden Bauboom.
Gleichzeitig zwingt die Volatilität des Marktes – sichtbar an 457 Stunden mit negativen Strompreisen im Jahr 2024 – zu einem Umdenken. Das reine Erzeugen von Strom aus regenerativen Energien und die langfristige Verwaltung laufender Parks ist bei Weitem nicht mehr alles. Es bedarf dringend eines wirtschaftlichen Managements von Energie.
Flexible Anlagen, allen voran Batteriespeicher, gehören somit zu den aktuell strategisch wichtigsten Investitionen im Bereich erneuerbarer Energien und rücken ins Zentrum des Geschehens. Ihre Fähigkeit, Energie-Volatilität zu managen und wirtschaftlich zu nutzen, wird zur entscheidenden Ertragsquelle. Mit einer bereits installierten Leistung von 13,8 GW erleben sie einen regelrechten Boom, angetrieben durch simple Marktlogik: Strom günstig einkaufen, wenn er im Überfluss vorhanden ist, und teuer verkaufen, wenn er knapp wird. Das ist die neue Wertschöpfung in der fortgeschrittenen Energiewende. Die Investitionslandschaft verschiebt sich zur Finanzierung des Baus von Speicherinfrastruktur.
Die Chance der Energiespeicher-Infrastruktur
Die Geschäftsmodelle für intelligente Speichersysteme sind vielfältig und robust. Sie beschränken sich nicht auf die reine Preis-Arbitrage. Durch sogenannte "Multi-Use-Modelle" können Betreiber gleichzeitig Erträge aus verschiedenen Märkten erzielen, indem sie Systemdienstleistungen wie Frequenzhaltung, Regelenergie und Netzdienstleistungen anbieten. Strategisch wertvoll und potenziell ertragsstark sind Speicher die neuen Asset im Energiesystem.
Studien prognostizieren, dass der Ausbau von Großbatteriespeichern einen volkswirtschaftlichen Nettonutzen von rund 12 Milliarden Euro generieren kann, indem er den Bedarf an teuren Spitzenlast-Gaskraftwerken reduziert und die Großhandelsstrompreise dämpft. Der globale Markt für Energiespeicher wird voraussichtlich bis 2030 jährlich um 27 % wachsen. Zentrale Wachstumstreiber sind neben Europa der Nahe Osten und Afrika.
Das EEG - Regulierung als Katalysator
Der deutsche Gesetzgeber flankiert diese Entwicklung gezielt. Das novellierte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vollzieht einen Paradigmenwechsel. Die entscheidende Neuerung: Für Strom, der bei negativen Börsenpreisen eingespeist wird, gibt es keine Vergütung mehr. Diese Regelung ist ein direkter finanzieller Anreiz, Erzeugungsanlagen intelligent zu steuern und mit Speichern zu koppeln. Sie schafft einen Markt für Flexibilität, die das Netz zur Stabilisierung dringend benötigt.
Eingebettet ist dies in den European Green Deal, der mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 die langfristige Makro-Sicherheit für den Sektor in Aussicht stellt. Während die EU den Kurs vorgibt, bestimmen die nationalen Gesetze wie das EEG die konkrete Rentabilität eines Projekts. Für Investoren bedeutet das: Der Markt ist langfristig gesichert, aber die Spielregeln im Detail ändern sich permanent.
Die Finanzierungslücke: Wo die Banken aufhören, fängt der Anleger an
Der Kapitalbedarf für den Energie-Umbau ist immens. Schätzungen reichen bis zu 1,2 Billionen Euro bis 2035. Diese Summe übersteigt die Kapazitäten klassischer Bankenfinanzierungen bei Weitem. Regulatorische Hürden (Basel III/IV) und ein risikoaverses Geschäftsmodell führen dazu, dass sich Banken insbesondere aus der risikoreichen Frühphasen- und Baufinanzierung zurückziehen, während der Bedarf permanent steigt. Sie finanzieren gern die fertige, laufende Anlage, aber selten den Weg dorthin.
Dieses Vakuum bietet Raum für den freien Kapitalmarkt. Alternative Investmentfonds (AIFs) für unternehmerisch geprägte Anleger die Miteigentümerschaften bevorzugen und Mittelstandsanleihen (KMU-Anleihen) für Zins-orientierte Anleger mit unternehmerischer Risikobereitschaft sind die zentralen Instrumente geworden. Sie stellen genau das zur Verfügung, was fehlt: risikotragendes Kapital.
Ob als Eigenkapital über AIFs, als eigenkapitalähnliches Mezzanine-Kapital über nachrangige Anleihen oder KMU-Anleihen als klassische Inhaberschuldverschreibungen – diese Instrumente finanzieren das Wagnis: die Projekt- und Bauphase. Sie bilden das Fundament, auf dem später eine klassische Bankfinanzierung die langfristige Betriebsphase weitgehend gut kalkulierbar aufbauen kann.
Der Investor als neue Bank: Die Konsequenzen des Risikotransfers
Diese Entwicklung ist mehr als eine technische Verschiebung. Sie ist ein Paradigmenwechsel in der Verantwortung für die Finanzierung unserer Zukunft und zugleich für das eigene Kapital. Risiken, die früher von spezialisierten Bankabteilungen analysiert, bewertet und gemanagt wurden, landen nun direkt im Portfolio des unternehmerischen Investors.
- Projektierungs-, Bau- und Fertigstellungsrisiko: Wird das Projekt umgesetzt, pünktlich und im Budget fertig? Kostensteigerungen oder Verzögerungen treffen den Kapitalgeber direkt.
- Marktpreisrisiko: Ohne staatlich garantierte Tarife hängt der Erlös vom Marktpreis oder von der Bonität des Partners ab, mit dem ein langfristiger Stromabnahmevertrag (PPA) geschlossen wurde.
- Insolvenzrisiko: Insbesondere bei Mezzanine-Kapital und unbesicherten Anleihen steht der Investor in der Gläubiger-Rangfolge weit hinten. Obgleich ihm ein Zahlungsversprechen gegeben worden ist, trägt er damit indirekt genauso das volle Unternehmerrisiko, was Anleger als Miteigentümer direkt übernehmen. Im Krisenfall droht in allen Fällen der Totalverlust.
Die Aussicht auf Renditen, die nicht selten mit 5 % bis 9 % locken, sind die direkte Kompensation für die Übernahme dieser unternehmerischen Risiken und die implizite Gebühr für die Due-Diligence-Arbeit, die nun der Anleger leisten muss.
Was wirklich zählt
Die Ära der quasi-staatlich garantierten "grünen" Renditen ist -wenn es sie denn je gab- vorbei. Investitionen erfordern eine nüchterne, Projekt- und Anbieter-basierte Analyse. Der informierte Anleger ist sich dessen bewusst, dass er die Rolle der Bank einnimmt. Er muss die Qualität des Managements bzw. Projektentwicklers prüfen, die Kapitalstruktur verstehen und das Erlösmodell kritisch hinterfragen.
Wer bereit ist, diese anspruchsvolle Aufgabe zu übernehmen, investiert nicht nur in eine Anlageklasse mit erheblichem Potenzial, sondern finanziert aktiv eine der größten wirtschaftlichen Transformationen unserer Zeit. Es ist eine unternehmerische Chance – mit allen dazugehörigen Risiken.
Ihre FIN-Redaktion
